Kurz war unsere Reise nach Benin, kurz und überwältigend. In den wenigen Tagen sind so viele Eindrücke auf uns eingeprasselt, dass ich immer noch dabei bin, alles zu verarbeiten. Die vielen Farben, die anderen Gerüche. Das Licht ist in Westafrika ganz anders, und natürlich auch die Temperaturen. Das Leben in Cotonou dreht sich in einer anderen Geschwindigkeit und irgendwie auch in eine andere Richtung und ich gebe zu: die Anpassung an das Leben in Benin fiel mir wesentlich leichter als die Rückkehr nach Europa.
Wir kamen spät abends in Cotonou auf dem Flughafen an. Dort war alles straff durchorganisiert: Passport! Yellow Card! Weitergehen, zügig in die Schlange einreihen. Dann noch einmal Passkontrolle, Fingerabdrücke, Fotografieren. Es ging eigentlich alles reibungslos, dennoch treffen einen die vielen Eindrücke (und das Klima!) wie eine Wand. Wir waren froh, dass unsere Projektpartner uns am Flughafen empfangen haben, direkt in ein Shuttle setzten und so für eine sichere Fahrt zum Hotel sorgten. Dort schlief ich wie ein Stein. Am nächsten morgen holte uns unser Fahrer ab und fuhr uns die halbe Stunde in Richtung der Universität in Abomey-Calavi. Es ist nicht übertrieben, wenn ich schreibe, dass ich mir mit offenem Mund die Nase an der Autoscheibe platt gedrückt habe.
Der Verkehr läuft komplett anders als in Europa. Es gibt keine Ampeln, die Geschwindigkeit ist teilweise halsbrecherisch und wenn eine Meute Fahrzeuge plötzlich geschlossen links abbiegt, machen wie durch Zauberhand die Entgegenkommenden Platz. Die meisten fahren mit dem Moto, kleinen Motorrädern oder Mopeds. An den vielen gelben T-Shirts erkennt man die Taxifahrer. Öffentliche Verkehrsmittel haben wir nicht gesehen in Cotonou. Wir hatten sehr oft den Eindruck, die Anzahl der zu befördernden Personen und auch Gegenstände ist nach oben komplett offen. Egal ob man nun mit dem Moto fährt oder mit einem Auto.
In der Universität lernten wir alle Projektpartner kennen, bekamen eine Laborführung und die Gelegenheit, die wichtigsten Eckpunkte des Projektes durchzusprechen. Nachdem die Arbeit getan war, machten wir einen Ausflug in die Pfahlbautenstadt Ganvié. Dort leben etwa 20.000-40.000 Einwohner, je nachdem, wen man fragt, komplett auf dem Wasser des Lac Nokoué. Es ist die größte Siedlung dieser Art auf dem Kontinent und wird auch als das „Venedig Afrikas“ bezeichnet. Ganvié war sehr beeindruckend, das Leben, der Markt, alles spielt sich auf dem Wasser in kleinen Booten ab. In den meisten Booten waren 2-3 Leute: Vorne und hinten wird gepaddelt, und ein kleines Kind in der Mitte schöpft mit einer Plastikschüssel das einlaufende Wasser aus. Ein kleines Kind meint dabei ein Kind unter etwa 6 Jahren, denn alle älteren Kinder können auch schon allein die Boote bewegen, um zum Lebensunterhalt der Familie mit beizutragen.
Der Fischfang ist besonders wichtig für die Bewohner von Ganvié. Überall auf dem Nokoué-See sind Schilfreihen in das Wasser gesteckt. Die Fische verstecken sich im Dickicht unter Wasser. Nach etwa einem Jahr können die Schilfreihen entfernt und die Fische gefangen werden, um sie zu essen oder zu verkaufen. Außerdem werden Reusen genutzt und viele Kinder haben eigene kleine Fallen, mit denen sie Fische fangen. Im Februar ist Trockenzeit, da steht das Wasser des Sees tief genug, dass die Pfähle der Häuser und auch die Schilfreihen gut erkennbar sind. Wenn der große Regen kommt, verschwindet das Meiste davon unter der Wasseroberfläche.Nach unserer Fahrt über den Lac Nokoué gingen wir noch über den nahe gelegenen großen Markt von Abomey-Calavi. Neben Getreide wird dort viel Gemüse verkauft. Vor allem Zwiebeln, Blattgemüse, Tomaten, Chilis und Okras wird angeboten. Wir haben den lokalen Weichkäse ‚Waragashi‘ gesehen, der eines der Lebensmittel in unserem Projekt ist. Auf dem Markt wird er in großen Eimern mit Flüssigkeit gelagert, die täglich aufgekocht werden muss, weil der Käse so schnell verdirbt. Fleisch und Fisch sieht man sehr oft geräuchert auf dem Markt, damit es länger hält. Allgegenwärtig ist das in Westafrika sehr bekannte ‚poulet bicyclette‘. Die Hühnchen haben ihren Namen daher, weil sie mit dem Fahrrad zum Markt gebracht werden, in große Bündel verschnürt. Und natürlich auch, weil ihre Beinchen sich schnell und hastig bewegen wie bei einem Fahrradfahrer, wenn man versucht sie einzufangen.Am Abend kamen wir in den Genuss der traditionellen Küche in Benin. Unsere Gastgeber erklärten geduldig all die fremden Gerichte: ablo, akassa, gombo, aloko. Es schmeckte ungewohnt und meistens ziemlich gut. Etwas gewöhnungsbedürftig war ein Eintopf mit Okra, der eine so schleimige Konsistenz hatte, dass man ihn kaum essen konnte. Immer wieder ist mir das Essen von der Gabel geflitscht und hat Fäden gezogen. Mein liebstes Gericht war gebackener Fisch mit Zwiebel-Tomaten-Gemüse, am besten mit frittierten Bananen als Beilage. Nach dem Essen gab es jedes Mal frisches Obst – Ananas, Papaya, Bananen oder Orangen sind allgegenwärtig. Das Aroma ist tatsächlich ein ganz anderes, wenn die Früchte vor Ort reifen. Ein großer Unterschied im Vergleich zu den Früchten, die man bei uns im Supermarkt kaufen kann.
Den nächsten Tag verbrachten wir auf dem offiziellen Kick-Off-Meeting des Projektes. Es waren über 40 Leute da, Vertreter aus Industrie, Politik und von der Universität. Wir konnten ein paar Worte mit dem deutschen Botschafter wechseln, was sehr interessant war. In den darauf folgenden Diskussionsrunden erfuhren wir sehr viel über die lokalen Gepflogenheiten, was den Handel und das Verpacken von Lebensmitteln angeht. Auch dieser Tag war wieder sehr dicht gepackt mit Besprechungen, Workshop und Vorlesung. Den Abend konnten wir frei nutzen. Unser Fahrer war so nett, einen großzügigen Umweg zum Hotel zu fahren. So konnten wir noch ein paar Blicke auf Cotonou erhaschen. Besonders haben wir uns gefreut, als er den Weg zum Meer einschlug, um uns den Atlantik zu zeigen.
Samstag, unser letzter Tag in Benin, und ein bisschen spürte ich schon beim Frühstück die Wehmut. So richtig wollten wir nicht nach Hause. Viel lieber hätten wir Afrika noch für ein paar weitere Tage inhaliert. Für diesen Tag hatten wir ein straffes Programm geplant. Zwei Verpackungsfirmen wollten wir besuchen und danach noch ein paar Sehenswürdigkeiten mitnehmen. Wir fuhren ein Stück aus Cotonou und Abomey-Calavi heraus, wo es keine befestigte Straße mehr gab. Wir wurden ganz schön durchgeschaukelt, als unser Fahrer das Auto über die unwegsame Strecke lenkte. Der Boden hatte eine intensiv rostrote Farbe. Der Staub lag überall – auf den Dächern, Reifen, den Blättern. Zwar wurde die staubige Straße durch einen Tankwagen mit Wasser bespritzt, aber wir hatten das Gefühl, dass diese Maßnahme nur sehr begrenzt hilft. Die sprichwörtlichen Tropfen auf heiße Erde.
Weil unser erster Termin uns vergessen hatte, stand „killing some time“ auf dem Programm. Kein Problem, denn so konnten wir in Ruhe noch mehr Benin in uns aufsaugen. Wir gondelten gemächlich durch die Straßen. Irgendwie waren wir auch in dem Leben angekommen, dass sich in Afrika einfach in einer anderen Geschwindigkeit und Richtung dreht. Unser Weg führte uns an einer Aquakultur für die Zucht von Tilapia vorbei und wir konnten spontan eine Führung machen, bei der uns alles sehr ausführlich erklärt wurde. Danach waren wir schon etwas spät für unseren letzten professionellen Termin. Wir wurden dennoch sehr höflich und herzlich von den Mitarbeitern der zweiten Verpackungsfirma begrüßt. Sie zeigten uns stolz all ihre Produkte, welche Verpackungen für welche Lebensmittel genutzt werden. Natürlich mussten wir die scharfen Gewürzkekse kosten und dann gab es auch noch den Chicorée-Kaffee, der mich so fasziniert hat, geschenkt. Wir waren schon ganz schön voll mit Informationen und Eindrücken. Dennoch führte uns unser Weg vor dem Mittagessen noch zu einem Kunsthandwerkermarkt für Touristen, wo man die unterschiedlichsten Dinge kaufen konnte.
Das Mittagessen bot nur eine kurze Verschnaufpause. Danach fuhren wir über Land nach Ouidah, einer kulturgeschichtlich sehr interessanten Stadt. Mit einem lokalen Guide konnten wir einen Voodoo Tempel besichtigen. Geduldig beantwortete er unsere Fragen, war aber sichtlich angegriffen über die negative Darstellung, die seine Religion in anderen Ländern der Welt erfährt. Er stellte uns die Python vor, das heilige Tier im Voodoo. Im Tempel leben über 40 Tiere, die einmal im Monat freigelassen werden, damit sie sich in der Stadt Futter suchen können. Die Tiere, die den Heimweg nicht allein finden, werden von den Einwohnern von Ouidah zurück zum Tempel gebracht. Wir lernten, dass viele Voodoo-Priester Narben im Gesicht tragen, die den Labialgruben der Pythons entsprechen. Tatsächlich waren uns auch in Cotonou schon öfter Menschen aufgefallen, die kleine Narben oder Tättowierungen im Gesicht trugen. Nun wussten wir auch, dass diese Narben die Zugehörigkeit zu bestimmten Stämmen oder Religionen kennzeichnen. Schließlich hatten wir die Ehre, uns eine heilige Python um den Hals legen und uns von ihr segnen zu lassen.
Benin ist nicht nur die Wiege des Voodoo, sondern auch eines der ehemaligen Zentren der Sklaverei in Afrika. Ausgehend vom Place Chacha, dem ehemaligen Sklavenmarkt, folgten wir der Route der Sklaverei. Dieser von Statuen gesäumte Weg soll an die Geschichte der Sklaverei erinnern. Dabei gibt es verschiedene Stationen, wie den Baum des Vergessens. Um den mussten Männer 9 mal und Frauen 7 mal gehen, um alles zu vergessen: Ihre Herkunft, ihre Kultur, ihre Sprache, ihre Identität, ihre Geschichte. Unser Guide führte uns über die verschiedenen Etappen der Tour. Wir waren beeindruckt, wieviel er wusste. Sein Englisch war ausgezeichnet, obwohl er es nach der Schule nur durch Hörensagen verbessert hatte. Immer wenn Touristen vorbei kommen, hört er genau hin, um neue Wendungen zu lernen. Jede unserer Fragen konnte er sofort beantworten und erklärte dabei so viele Details, dass wir zunächst dachten, er hätte Geschichte studiert und wäre von der Universität. Leicht beschämt gestand er uns, dass er nicht mehr als einen normalen Schulabschluss und sich das meiste in seiner Freizeit angelesen hatte. Wir fuhren zur letzten Etappe auf der Route der Sklaverei: La Porte du Non-Retour – das Tor ohne Wiederkehr. Von hier aus gelangten die Sklaven über kleine Boote auf die großen Karavellen und wurden verschifft in ein fremdes Land, in eine ungewisse Zukunft.
Auch wenn der heiße Tropenwind uns sehr aufgeheizt hatte an diesem Tag, wurde mir frostig, als wir durch das Tor auf das Meer zugingen. In der Sonne schlenderten wir zum Strand. Ich konnte ein paar Muscheln aufsammeln. Dann stand ich das erste Mal am Atlantik, sog noch einmal alle Eindrücke in mich auf. Die wehenden Palmen, das rauschende Rollen der Brandung. Langsam ging ich auf die Wellen zu und grub meine Hände in den Sand. Wogende Wellen tosten heran, bäumten sich auf zu Bergen und überschlugen sich, als sie über meine Hände rollten. Sie trafen mich, meine Hose, Schuhe, Socken und ließen von mir ab. Ließen mich zurück, bewegt und durchtränkt. Alle lachten. Wunderschönes Afrika. Wunderschönes Benin.