Es war Anfang Juni, wir waren gerade bei meiner Schwester zu Besuch und die Sonne entwickelte zum ersten Mal in diesem Jahr die Kraft für eine stattliche Hitzewelle. Meine Schwester wohnt mit ihrer Familie am Stadtrand Dresdens, in einem überraschend ländlich wirkenden, malerischen Tal. Auf der kleinen Straße zum Haus steht ein Kirschbaum, auf den meine Nichte sehr geschickt kletterte, um von oben die gerade reif gewordenen Kirschen für uns nach unten zu werfen. Es wurde zum ersten Mal Heu gemacht und der Duft trug meine Erinnerung zu den großen Wiesen, die sich um unser Heimatdorf scharen. Kirschen, Erdbeeren, Johannisbeeren geben einen Vorgeschmack auf die Fülle des Sommers. Die ersten heißen Tage des Frühsommers sind oft die schönsten des Jahres. Aber nachts wird es noch erfrischend kühl, wenn man auf die Jagd geht nach Glühwürmchen. Ich dachte: der Juni ist mein Lieblingsmonat.
In den Juli war ich ähnlich verliebt. Der Juli ist der Sommermonat schlechthin. Hitze, Freibad, Rosenduft. Die Süße des Sommers kann man in den unzähligen reifen Beeren schmecken. Mir wurde bewusst, wie sehr ich jeden Monat für seine ganz charakteristischen Eigenschaften schätze. Nun, werden einige sagen, es ist keine überraschende Erkenntnis, dass der Lauf des Jahres mit einem Wandel der Natur verbunden ist, der uns in Erinnerungen schwelgen lässt und unsere Sinne kitzelt. Dennoch finde ich es wichtig, einmal inne zu halten, tief durchzuatmen und sich zu besinnen, dass der Duft der Linden nur im Juni so betörend ist. Dass Wassermelonen im Juli knackig kalt sein müssen und später, im Herbst, schmeckt der Holundersaft am besten, wenn man sich vom Wind auf dem Feld einmal richtig hat durchpusten lassen. Im August, sagte ich mir, werde ich die Augen öffnen. Für all die schönen großen und kleinen Details, die den August zum August machen.
Der August ist für mich der Monat des Spätsommers. Es kann noch richtig heiß sein, so dass die Hitze über den Straßen steht und nicht weichen will. Es ist der Monat der Wespen und des Vorsicht!-Rufens beim Essen draußen. Dieser August war nicht heiß. Er war nicht einmal warm. Er war sehr windig, er war sehr regnerisch. Wir haben die Heizung angestellt. Nachts sanken die Temperaturen auf unter 10°C und morgens konnte ich beim Weg ins Büro meinen Atem sehen. Ich bekam Herbstgefühle und Kuscheldeckenbedürfnis, obwohl es die schönsten Freilandrosen gab und der Lavendel noch mit aller Macht gegen das Herbstwetter anduftete. Die Frauen tauschten die nackten Beine unter ihren Röcken gegen Wollstrumpfhosen. Keine Chance, der Sommer war vorbei. Unser August hatte nichts gemein mit dem August in meiner Erinnerung. In meinem typischen Erinnerungsaugust liegen Birnen auf der warmen Straße, die in den Wald hinter unserem Dorf führt. Über ihnen schwirren Wespen, angelockt vom süß-säuerlichen Geruch des gärenden Fallobstes. Im August 2014 schaue ich durch eine regenverschmierte Straßenbahnscheibe und staune über die knallorangen Kürbisse, die auf den Feldern liegen, darauf wartend, noch etwas größer zu werden.
Ein klein wenig versöhnt habe ich mich trotzdem mit dem August: Äpfel, Birnen, Zwetschgen – im Überfluss. Das phantastische, warme Frühjahr spiegelt sich in einer reichen Ernte wieder. Ich trage kiloweise Obst nach Hause, kann mich aber nicht entscheiden, ob ich alles auf einmal naschen soll, oder vielleicht doch noch einen Streuselkuchen backe. Das macht den August für mich besonders wertvoll: dass es endlich wieder Äpfel gibt.
Augustliebe von Marja Katz ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-NichtKommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
danke für die feinen worte, die feinen bilder!
hab es schön*