Der Juli hat an seinem letzten Tag die Mauersegler fort geschickt, der Höhepunkt des Sommers liegt hinter uns. Bewegt war der Monat, sehr bewegt, wie das ganze Jahr bisher. Der Beginn des Monats ist noch von vielen Verbindlichkeiten geprägt. Die letzten Tage in der Schule, Konzerte über die Bühne bringen, das große Schulfest. Dann lösen sich die Pflichtfäden, die alles zusammen halten, mehr und mehr auf, an jeder Ecke wünschen wir uns einen schönen Sommer. Auch wenn wir dieses Jahr keine große Sommerreise machen können, ist die Erleichterung, wenn der Termindruck nachlässt, überdeutlich. Der Juli wird mit jedem Tag leichter.
Mit den warmen Tagen erreicht der Garten seinen Höhepunkt, auch an Arbeit, der man immer ein bisschen hinterherrennt und nie ganz gerecht wird. Der Garten kennt das schon, lächelt milde und füllt einem dennoch die Hände mit Heidelbeeren, Kirschpflaumen und Kräutern. So ist man viel auf den Beinen, in der Wahner Heide stehen die letzten Kontrollen an. Sie gelten vor allem den seltenen Uferschwalben, die am Steilufer der Agger brüten. Während ich versuche die besetzten Bruthöhlen zu zählen, das geht nur mit einer Skizze der Brutkolonie im Notizbuch, schwirren sie mir um die Nase, jagen ihr zweites Frühstück über dem Wasser und singen dabei unermüdlich ihr Sommerlied. Gottseidank, die Steilwand ist nicht abgebrochen und hat den Brutversuch zunichte gemacht wie so oft zuvor. Es ist ein erfolgreiches Jahr.
Nach den ersten losen Ferientagen feiern wir Mitte Juli meinen Geburtstag. Mit dem Rad geht es an die Rheinische Riviera, den Strand von Köllefornia. Mit Heidelbeer-Babka, Steinen die man über das Wasser flitschen kann und jede Menge Sand. Es kommen Freunde dazu für ein Picknick, wir spielen Karten und dann wird das Knie des Tochterkindes so dick, dass sie nicht mehr laufen kann. Der offenbar ungefährliche, aber unheimlich lästige Weichteiltumor in ihrer Kniescheibe ärgert uns immer noch, es gibt immer noch keine Ärzte, die uns helfen oder auch nur sagen können, was genau das eigentlich ist, was sie da im Knie hat. Kurzerhand nimmt unser Freund sie ins Lastenrad, der mittlere Sohn übernimmt ihr Rad. So fahren sie uns nach Hause. Die folgenden Tage ist das Tochterkind ans Bett gefesselt, der Erguss ist schlimm wie lange nicht. Als wenige Tage später ihr Meerschwein stirbt – blind, mit Diabetes, in sehr hohem Alter – sind die schlimmsten Sommerferien aller Zeiten. Sobald die ersten Schritte an Krücken wieder gehen, setze ich sie auf den Gepäckträger und schiebe sie zu den Uniwiesen. Sommerabend unter Leuten, auch wenn es nicht die eigenen sind.
Mit Blick auf das Wochenende wird es lichter. Laufen wird wieder möglich und so geht es am Samstag morgen direkt zu einem Züchter in der Nähe. Wir haben uns für einen zeitnahen Ersatz entschieden, weil es in der Schweinchengruppe ein weiteres, sehr altes Tier gibt und mein dicker Tröster Roulade nicht allein sein soll. Der Züchter macht einen sehr guten Eindruck, die Gruppe an Schweinekindern ist gesund, munter, der ausgewählte Meerschweinjunge krabbelt meiner Tochter sofort entgegen. Er ist so zahm, dass die beiden direkt ein Herz und eine Seele sind. Toffi ist buchstäblich quietschvergnügt, klettert direkt an ihr hoch, setzt sich auf ihre Schulter und versteckt sich in ihren langen, blonden Haaren. Man wird sie die kommenden Tage nicht mehr ohne Meerschweinchen auf der Schulter antreffen, so schnell wachsen sie zusammen. Noch am Nachmittag wird Fine beerdigt, unter der Kletterrose ‚Raubritter‘ im Garten.
Es wird ein typischer Gartentag. Wir bauen, naschen Heidelbeeren und grillen zum Abend. Dass wir bauen müssen, hat einen Grund. Für unsere neue gasbetriebene Herdplatte brauchen wir einen Unterschrank. Der alte Gasherd muss ausgemustert werden und wird noch am selben Tag zum Wertstoffhof gefahren. Meistens nutzen wir ihn, um Wasser heiß zu machen, für das Spülen unseres Geschirrs. Beim letzten Mal ließ der Herd aber ein so unscheinbares ‚Fump‘ hören, dass wir es nicht ernst nahmen. Bis mir und den Kindern auffiel, dass es irgendwie kokelig in der Hütte roch. Aber wir konnten den Grund nicht finden. Dann sah ich es zwischen den Ritzen der Herdknöpfe im Inneren des Herdes gelb flackern. Durch Korrosion gab es in einer der Zuleitungen ein Leck, es trat Gas aus und dann ist das Feuer von der Gasplatte in den Herdinnenraum übergesprungen. Gottseidank ist nichts Schlimmeres passiert.
Auch wenn wir mit einem ruhigen Wochenende gerechnet haben, kommt es doch wieder anders als gedacht. Zunächst war die Tochter nur ganz lose mit Freunden für den CSD in Köln verabredet, lose vor allem, weil das Knie unberechenbar ist. Aber sie will es versuchen und als wir am Treffpunkt ankommen, stellt sich innerhalb weniger Minuten heraus, dass die Gruppe als Schülervertretung ihres Gymnasiums für die Pride Parade angemeldet ist. Das trifft uns unvorbereitet, aber da schon viele wegen Urlaub oder eines Elternverbots absagen mussten, ist die Gruppe sehr klein und besteht aus einigen Jugendlichen, die gerade so 14 sind. Also beschließen wir, bei der Demo mitzugehen. Die Menge an Menschen, Farben und Geräuschen ist überwältigend. Der Kontrast in den nächsten Tagen, die darauf folgende Ruhe, als sich nun alle Freunde in den Urlaub verabschiedet haben, ist umso größer.
Mit den ruhigeren Tagen legt sich die heiße Schwere des Sommers über den Juli, durchbrochen von Nachmittagen im Freibad. Ich beende Carson McCullers ‚Das Herz ist ein einsamer Jäger‘ und lese in wenigen Zügen Stephan Schäfers ’25 letzte Sommer‘. Als es einen ganzen Samstag regnet, nähe ich eine Bluse aus Fischgrät-Leinen für meine Schwester (über die ich eigentlich bloggen wollte, naja). Am folgenden Tag scheint die Sonne wieder und ich gehe mit Drehumdiebolzen im Siegtal wandern. Es ist keine lange Strecke, gibt aber tolle Aussichtspunkte und da ein paar kleine Höhenmeter dabei sind, belohnen wir uns mit einem Picknick. Es ist das dekadenteste Wanderpicknick aller Zeiten mit gutem Käse, Eiermüsli und Rotwein.
In diesen Tagen kommen plötzlich die Muskelschmerzen zurück, die mir von LongCovid nur zu vertraut sind und gegen die nichts hilft. Das trifft mich unvorbereitet, denn für die anstehenden Geburtstage muss noch einiges erledigt werden. Neben der Bluse besorge ich noch Kleinigkeiten für meine Schwester und meine Eltern, die die Ferienkinder ein paar Tage oder Wochen beherbergen werden. Für das Geburtstagsshirt soll noch Stoff gebatikt werden, denn mein Jüngster wird schon 12 und da ist man für Vieles zu alt, vor allem für Geburtstagsshirts aus bunt bedruckten Kinderstoffen. Das Batiken klappt nicht im ersten Anlauf, weil zu viele Schnüre in der Waschmaschine abgehen. Im zweiten Anlauf arbeiten wir mit Bleiche nach, so dass es am Ende doch ganz gut wird. Der buchstäbliche i-Punkt auf dem Shirt (Schnittmuster Sempel von Piexsu), ist die 12 in Binär-Code, die ich mit Textilfarbe und meinen Dotting Tools aufgebracht habe.
Es wird ein wunderbarer Geburtstag, ein fulminantes Juli-Ende am vorletzten Tag des Monats. Wir verbringen einen schrecklich heißen Tag im Phantasialand, am nächsten Tag brechen die Kinder zu den Großeltern auf. Was dann bleibt, ist die Lücke an Lebendigkeit, die Kinder reißen, wenn sie aus dem Haus gehen. Und der Aufbruch in ein paar Tage mit viel mehr Zeit, der Aufbruch in einen neuen Monat.
Eigentlich wollte ich über die Leinenbluse schreiben, die ich für meine Schwester genäht habe. Und das gebatikte T-Shirt für meinen Sohn. Aber ich habe so lange nicht gebloggt, dass wohl der Fokus verrutscht ist. Es ist so viel passiert, es hat sich einiges verändert. Vielleicht ist das ja gar nicht schlimm, denn Erzählenswertes gibt es immer. So zeigen meine Julizeichen die gesammelten Turbulenzen des letzten Monats – und die nächsten Zeichen vielleicht auch wieder mehr Textiles.
Julizeichen von Marja Katz ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-NichtKommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
Wie schön, wieder etwas von Dir zu lesen! Herzliche Grüße Tily
Vielen Dank, liebe Tily! Schön, dass Du noch mitliest 🙂